1918 - 1933
Wirren in der Weimarer Republik
Institutionalisierung und politische Positionierung des Handwerks

Neuanfang unter schwierigen Bedingungen
Nach dem Ersten Weltkrieg gerät Deutschland in eine Phase tiefgreifender Krisen: Politische Instabilität, wirtschaftlicher Zusammenbruch, Hyperinflation und soziale Spannungen prägen die Anfangsjahre der Weimarer Republik. Auch das Münsterland und das westfälische Ruhrgebiet bleiben davon nicht verschont – während Münster weiterhin stark von Landwirtschaft und Handwerk geprägt ist, dominieren in den Industriezentren große Unternehmen und Konzerne. Für das Handwerk bedeutet diese Zeit eine enorme Belastung.
Gemeinsam stark – trotz Hürden
Trotz der schwierigen Rahmenbedingungen beweist das Handwerk große Widerstandskraft. 1919 gründet sich der „Reichsverband des Deutschen Handwerks“, in dem Kammern, Fachverbände, Gewerbevereine und Genossenschaften zusammenkommen. Die Vielzahl unterschiedlicher Interessen erschwert zwar eine klare politische Linie, dennoch setzt der Verband wichtige Impulse.
1920 erarbeitet er erste Grundzüge einer Reichshandwerksordnung, die 1929 gesetzlich verabschiedet wird. Damit erhalten selbstständige Handwerkerinnen und Handwerker das aktive Wahlrecht zur Vollversammlung der Kammern – ein entscheidender Schritt zur politischen Mitbestimmung.
Ebenfalls im Jahr 1929 erhalten die Handwerkskammern das Recht, öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige zu ernennen – ein weiterer Meilenstein in der institutionellen Stärkung des Handwerks.
Die Handwerkskammer Münster bezieht Position
Auch die Handwerkskammer Münster gestaltet diese Entwicklung aktiv mit:
- 1918 übernimmt Dr. jur. Offenbach die Hauptgeschäftsführung,
- 1919 folgt ihm der Münsteraner Rechtsanwalt Ludwig Schürmann,
- 1927 wird Franz Bielefeld, Architekt und Baumeister aus Recklinghausen, zum Präsidenten gewählt. Bielefeld bringt das Handwerk mit Sachverstand und strategischem Geschick in die politischen Debatten der Weimarer Republik ein.

Weltwirtschaftskrise trifft das Handwerk hart
Mit dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 1929 verschärft sich die Lage dramatisch. Handwerksbetriebe kämpfen mit massivem Nachfragerückgang, Kreditverlusten, Inflation und steigender Arbeitslosigkeit.
Die Einkommensverluste im Handwerk fallen deutlich gravierender aus als in der Industrie. Diese Unterschiede sorgen für Spannungen innerhalb der Handwerksorganisationen, da die einzelnen Gewerke unterschiedlich von der Krise betroffen sind.

Zwischen Stabilisierung und Radikalisierung
Auch politisch spitzt sich die Situation zu. Die Handwerkskammer sieht sich zunehmenden Spannungen ausgesetzt. 1932 würdigt Franz Bielefeld in einer Vollversammlung die Leistungen des Kabinetts Brüning – unter anderem die Begrenzung von Rabattaktionen und Einheitsangeboten. Doch seine Position findet wenig Rückhalt: Viele westfälische Handwerker verlieren das Vertrauen in die Regierung.
Gleichzeitig gewinnen radikale politische Kräfte an Einfluss – mit Auswirkungen auch auf die Arbeit der Kammer.
Gleichschaltung unter nationalsozialistischer Herrschaft
Nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten 1932 beginnt die systematische Gleichschaltung der Handwerkskammern. In Münster wird Dr. Clemens Kahmann zum Hauptgeschäftsführer bestellt – und behält diese Position trotz zunehmender politischer Eingriffe. Damit bildet Münster eine Ausnahme, denn viele Geschäftsführer, die sich nicht anpassen wollen, verlieren ihre Ämter.
Ein gewisses Maß an Eigenständigkeit bleibt jedoch erhalten, da frühere Präsidenten – wie Franz Bielefeld – als Ehrenpräsidenten weiter Einfluss nehmen. So gelingt es, die vollständige ideologische Umformung zumindest vorübergehend hinauszuzögern.
Zahlen & Fakten 1932
- 23.000 Handwerksbetriebe im Kammerbezirk Münster
- 7.202 km² Fläche – bereits identisch mit dem späteren Regierungsbezirk Münster