1960 - 1980
Wirtschaftliche Konsolidierung und Wandel
Stabilität durch Innovation und Anpassung

Zwei Jahrzehnte im Zeichen des Wandels
Zwischen 1960 und 1980 behauptet sich das Handwerk im Kammerbezirk Münster als verlässlicher Stabilitätsfaktor – trotz konjunktureller Schwankungen, Energiekrisen und politischer Umbrüche. Es ist eine Zeit der Modernisierung, des internationalen Austauschs und der wirtschaftlichen Neuausrichtung.
Führungspersönlichkeiten prägen die Richtung
An der Spitze der HWK Münster stehen Persönlichkeiten, die diese Zeit entscheidend gestalten:
- Während der Präsidentschaft von Baumeister und Diplom-Ingenieur Philipp Klee gewinnt das Handwerk im Münsterland und im nördlichen Ruhrgebiet deutlich an Einfluss, wird organisatorisch gestärkt und politisch sichtbarer. Sein Wirken trägt wesentlich zur Institutionalisierung und Professionalisierung des Handwerks in der Bundesrepublik Deutschland bei.
- Paul Schnitker, Maler-, Lackierer- und Glasermeister aus Münster, übernimmt 1968 das Präsidentenamt und führt das Handwerk weit über die Region hinaus – bis nach Brüssel. Ab 1973 ist er auch Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH) und europäischer Interessenvertreter des Handwerks
Die Hauptgeschäftsführung liegt zunächst bei Dr. Clemens Kahmann, dann bei Franz Berding und ab 1969 bei Bernd Schulze Wierling, der die Kammer über zwei Jahrzehnte maßgeblich prägt.


Aufschwung, Rezession und Gesetzesreformen
Die 1960er Jahre bringen dem Handwerk starke Wachstumsimpulse – insbesondere in den Metall-, Elektro- und Gesundheitshandwerken. Mit Fortschritten in der Technik wächst auch die Nachfrage nach qualifiziertem Fachpersonal.
Meilensteine der Zeit:
- Handwerksnovelle 1965: erleichtert verwandte Tätigkeiten ohne zusätzliche Meisterprüfung,
- Aufnahme handwerksähnlicher Gewerbe,
- Berufsbildungsgesetz 1969: erstmals branchenübergreifende Regelung der Ausbildung – das Handwerk verteidigt erfolgreich seine Prüfungsautonomie.
Doch mit der Rezession von 1966 wird klar: Wirtschaftliche Sicherheit ist keine Selbstverständlichkeit. Die Konzertierte Aktion zeigt, wie schnell Stabilität ins Wanken geraten kann.


Bildung bleibt Schlüssel zur Zukunft
Die HWK Münster setzt konsequent auf den Ausbau beruflicher Bildung:
- 1964: Start überbetrieblicher Lehrgänge an der Körnerstraße
- 1976: Bau einer zweiten Bildungsstätte am Daimlerweg
- 1978: Baubeginn des modernen Bildungszentrums an der Echelmeyerstraße;
- 1979: Eröffnung



Diese Investitionen sind Antworten auf:
- die steigende Zahl an Schulabgängern,
- den Fachkräftemangel und
- die Forderung nach hochwertiger Ausbildung.
Das Handwerk stellt zwei Drittel der zusätzlich benötigten Ausbildungsplätze – und verhindert so die Einführung einer staatlichen Ausbildungsabgabe.
Beratung und Wirtschaftsförderung
Die HWK richtet ihr Dienstleistungsangebot gezielt auf die Bedürfnisse kleiner und mittlerer Betriebe aus:
- 1965: Einrichtung einer eigenständigen Wirtschaftsförderung
- Aufbau von Betriebsbörsen für Nachfolgeregelungen
- Beratung in Marketing, Export und Betriebswirtschaft
Ein Gewerbeförderungsausschuss koordiniert alle Maßnahmen – individuell, regional und praxisnah.
Energiekrise und wirtschaftlicher Druck in den 1970er Jahren
Die zweite Hälfte der 1970er Jahre ist geprägt von Herausforderungen:
- Kostendruck und Energieknappheit,
- Bürokratisierung,
- politische Unsicherheiten.
Die Energiekrise ab 1979 führt zu Investitionsstopps in vielen Betrieben. Dennoch bleibt das Handwerk widerstandsfähig: 1980 steigt der Arbeitskräftebestand im Kammerbezirk um 1,5 %.
Unterschiedliche Branchenentwicklungen
Gewinner |
Verlierer |
Metallverarbeitung |
Textil-, Bekleidungs-, Lederhandwerk |
Gesundheits- und Körperpflege |
Regional wächst die Zahl der Betriebe besonders in Borken und Steinfurt, während sie in Gelsenkirchen leicht zurückgeht.
Die kommunale Gebietsreform 1975/76 ändert die Verwaltungslandschaft, die Grenzen des Kammerbezirks bleiben jedoch weitgehend erhalten.
Internationales und europäisches Engagement
Ein Meilenstein ist die 1961 begründete Partnerschaft mit der Handwerkskammer Orléans (Frankreich). Sie ermöglicht:
- Austauschprogramme für Auszubildende und Gesellen,
- gegenseitige Besuche und Lernaufenthalte und
- die Stärkung europäischer Netzwerke im Handwerk.
Auf europäischer Ebene ist Paul Schnitker eine treibende Kraft:
- Mitglied des Europäischen Parlaments (1979 – 1981)
- Engagement im Wirtschafts- und Sozialausschuss in Brüssel
- Mitbegründer der Europäischen Union des Handwerks
- Verfasser der „Magna Charta für kleine und mittlere Betriebe“
Bilanz: Ein flexibler Pfeiler der Gesellschaft
Trotz mehrfacher wirtschaftlicher und struktureller Brüche zeigt sich das Handwerk im Kammerbezirk Münster zwischen 1960 und 1980 stark, lernfähig und wandlungsbereit. Es bleibt ein verlässlicher Träger der Ausbildung, der lokalen Wirtschaftskraft und der sozialen Stabilität.
„Auf Erfahrung und Genauigkeit kommt’s an“ – das gilt damals wie heute in den Werkstätten der Körnerstraße genauso wie in den Entscheidungsgremien der Kammer.
